Ot Hoffmann

6. Juni 1930 – 17. Mai 2017

Anfang 2017 erhielt ich Ot Hoffmanns Jahresgruß mit dem Bild einer Schafsherde, dazwischen ein schwarzes Schaf und darunter die Frage: Wenn alle in eine Richtung laufen, selbst das schwarze Schaf, stimmt dann alles?

Seine Symphatie galt wohl dem – sprichwörtlichen – schwarzen Schaf, er selber hat sich aber nie als schwarzes Schaf empfunden, schon gar nicht als Teil einer Herde, sondern als sehr konstruktiver, selbstbewusster Zusammen- und Querdenker, Technik, Naturwissenschaften, Ästhetik gleichermaßen zugewandt. So war er in der Hessischen Architektenkammer nicht nur als Hochbauarchitekt, sondern auch als Städtebauarchitekt, vereidigter Bausachverständiger und Rationalisierungsingenieur eingetragen.

Als Architekt empfand er sich, interdisziplinär in einer Person, in einer „Vorreiterfunktion“, die er auch dem Berufsstand insgesamt als Aufgabe zuschrieb. Er suchte einfache und kostengünstige Lösungen, griff dabei auch auf Fertigteile zurück, scheute keine noch so robuste Betonwand, wenn sie im Baukonzept insgesamt stimmte. Dabei entstanden kraftvolle, ungewöhnliche und zugleich feinfühlige Gebäude. Vorrang vor der Ästhetik hatte für Ot Hoffmann immer die Nutzung, das Entwerfen von Räumen, die der Nutzer mit seinen Ansprüchen und seiner Phantasie ausfüllen konnte. So entstand zum Beispiel neben Privataufträgen ein Gemeindezentrum in Bensheim-Schönberg, ein Lernzentrum für Wald und Natur im Frankfurter Stadtwald, oder eben das so umstrittene wie mittlerweile bewunderte „Baumhaus“ (Baujahr 1970) in Darmstadt, in dem er selbst mit seinem Büro lebte, und das heute im Erdgeschoss die prominente Darmstädter Galerie Netuschil beherbergt, eine dafür nicht geplante, aber wie sich zeigt geradezu ideale Nutzungsmöglichkeit für Kunst der Moderne in der sichtbaren und nachvollziehbaren, weißgeschlemmten Betonkonstruktion.

Das „Baumhaus“, am lärmigen City-Ring, der Zeughausstraße gelegen, wirkt mit seiner üppigen Bepflanzung auf den oberen Terrassen wie eine Oase im Stadtbild. Der Architekt wollte damit den Nachweis führen, dass Gebäudebegrünung mit relativ einfachen Mitteln und ohne Bauschäden möglich ist. Einmal angewachsen, erhält und erneuert sich der Pflanzenbestand bei einer intelligenten Regenführung wie von selber. Oben auf dem Dachaufbau dreht sich ein Windrad, das hartnäckig über Jahre gegen die Bauaufsicht durchgesetzt wurde, heute aber unangefochten einen ökologischen Akzent im Stadtbild setzt, und natürlich Energie für das Gebäude schafft.

Ot Hoffmann hatte nie im Sinn, das „Baumhaus“ als städtisches Modell für die Stadt insgesamt zu propagieren. Grün sollte dort eingesetzt werden, wo es hinpasst und den Menschen nützt, aber nicht „um jeden Preis und überall“. Im Internet findet sich dazu ein sehr lesenswertes Interview mit vielen Abbildungen, das Dirk Junklewitz vor Jahren mit Ot Hoffmann geführt hat.

Das Baumhaus hatte über den ökologischen Aspekt hinaus im Entwurf auch eine städtebauliche Absicht, nämlich auf Höhe des ersten Stockwerks von der Schleiermacherstraße über die Zeughausstraße durch eine Brückenkonstruktion in die Innenstadt zu führen und zugleich dem Cityring eine strukturierende Wegmarke zu geben. Daraus ist nichts geworden. Heute sieht man von dieser Absicht noch den Torso einer Terrasse. Diese Entwurfszeichnung findet sich auch leicht zugänglich im Internet. Das würde man auch fast 50 Jahre später so wohl nicht bauen, aber das Problem, die brutale Trennung von Hessischem Landesmuseum und Friedensplatz bzw. Schloss ist auch nicht gelöst. Die Wunde, die hier im Bemühen um die autogerechte Stadt im Wiederaufbau der Nachkriegszeit entstanden ist, gibt es noch heute.

Ot Hoffmann war ein rastloser und umtriebiger Kopf weit über Architektur und Städtebau hinaus. Eine Fülle von Jahresbüchern – Gedanken, Notizen, Vorträge – die er an Freunde und Kollegen schickte, „Querblättern“, Buchunikate (jeweils nur 1 Exemplar), Buchbeiträge als auch eigene Buchpublikationen zeigen seine Themenbreite und die extrem systematische und konsequente Arbeitsweise, ohne die dieses Lebenswerk nicht entstanden wäre. Im Zusammenhang mit dem Werkbund sind zwei Kataloge für Ausstellungen entstanden, die er für das Werkbundhaus in der Frankfurter Weißadlergasse kuratiert hatte: Zum Einzug dort „Der Deutsche Werkbund – 1907 – 1947 – 1987 (Berlin, 1987), und „ex und hopp. Das Prinzip Wegwerf“ (Gießen, 1989), eine anschauliche, geharnischte (und bis heute aktuelle) Kritik an der verschwenderischen Wegwerfmentalität der Konsumgesellschaft.

In Darmstadt hatte Ot Hoffmann zusammen mit dem Werkbund-Vorsitzenden Lucius Burckhardt und dem DWB-Geschäftsführer Michael Andritzky Anfang der 70er Jahre eine Reihe Internationaler Werkbundgespräche konzipiert und organisiert, in der Tradition der Darmstädter Gespräche. Die Bedeutung dieser Veranstaltungen hatte dazu geführt, dass später mit Unterstützung der Stadt Darmstadt ein „Laboratorium der Zivilisation/Akademie Deutscher Werkbund gGmbH“ gegründet wurde, geleitet von Prof. Bernd Meurer. Ot Hoffman war mit Ideen und gutem Rat, aber auch mit kritischer Distanz immer präsent. Viele anregende Gespräche haben in seinem Atelier im „Baumhaus“ stattgefunden. Der sich seit 1945 neu formierende Werkbund in Darmstadt, in Hessen und auf Bundesebene hat ihm viel zu verdanken: persönliches, dauerhaftes Engagement für die Qualität einer etwas anderen, unkonventionellen Architektur und Umweltgestaltung.

Jochen Rahe, 31.5.2017

Abbildung auf der Startseite: Ot Hoffmanns Baumhaus in Darmstadt, © Biotope City Journal
Das Interview mit Ot Hoffmann ist zu finden unter: http://www.biotope-city.net/article/ein-pionier-interview-mit-ot-hoffmann-architekt-des-baumhauses-darmstadt.

Verfasser
Deutscher Werkbund Hessen e.V.

Rubrik
Mitteilungen