Prof. Dr. rer. pol. Dipl.-Ing. Arch. Ingrid Krau ist tätig in Städtebau, Stadtplanung und Forschung. Sie war von 1994 bis 2007 Ordinaria und Inhaberin des Lehrstuhls für Stadtraum und Stadtentwicklung an der TU München und von 1995 bis 2010 zudem Direktorin des Instituts für Städtebau und Wohnungswesen München der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Ingrid Krau ist Mitglied des Deutschen Werkbunds Bayern, des BDA, der DASL und des Münchner Forums. Bis 1998 war sie im Ruhrgebiet, zunächst in der kommunalen Stadtentwicklungsplanung, dann in der Forschung mit Stahlarbeitern und mit eigenem Architektur- und Planungsbüro (Konzepte und Vorplanung zur denkmalgerechten Nachnutzung der Zeche Zollverein XII, der Zeche und Kokerei Hansa und anderer für die IBA Emscherpark). Seit 2003 beschäftigt sie sich mit den Themen Mehrebenen-Ansätze zur Energieeffizienz auf Quartiersebene, städtebaulicher Denkmalschutz und energetische Quartierskonzepte (z. B. für das Hansaviertel Berlin). Zudem ist sie umfassend publizistisch tätig.

Hands On – Learning  from Bauhaus – auch eine Bildungsstrategie „für alle“ im digitalen Zeitalter?

Das Produktionsschulprinzip des Bauhauses war Bildungsexperiment einer Elite für Eliten, die sich als Avantgarde der industriellen Produktion verstand. Kann dieser Anspruch auf heutige Ansprüche nach zukunftstauglicher Bildung „für alle“, wie wir so gern mit demokratischem Impetus betonen, übertragen werden? Kann es noch gelten in Zeiten einer Industrie 4.0 sich selbst vernetzender Fertigungsstufen mit maximaler Entfernung zum Handwerklichen, ja selbst zur computergestützten automatisierten Serienfertigung, die wir gerade verabschieden?

Mein neues Buch zum „Verlöschenden Industriezeitalter“ beschäftigt sich mit den bereits weitestgehend verschwundenen montanindustriellen Großbetrieben im Ruhrgebiet, ihren weggebrochenen Arbeitsformen und Ausbildungswegen. Sie wurden maßgeblich von „learning on the job“ bestimmt, das geringe Qualifizierung voraussetzte und einem darauf ausgerichteten Berufsschulwesen, das die Industrie selbst betrieb, im Bergbau vorzugsweise über Bergschulen. Mit den Unternehmen entschwand auch dieses Ausbildungssystem. Zurückgeblieben ist ein erodierter Zustand regionaler Bildungsarmut mit einer großen Zahl jugendlicher Langzeitarbeitsloser, die für sich neu gründende Betriebe nicht interessant sind. Auf der anderen Seite popularisierte die Vielzahl neuer Hochschulgründungen in der Region akademische Bildungsansprüche. Offensichtlich  trägt die fortschreitende Akademisierung jedoch nur bedingt dazu bei, die Lust am Lernen und Entdecken, wie sie Kleinkinder in der Regel noch prägt, zu stärken.

Will man den Jugendlichen aus bildungsfernen Milieus Wege in eine berufliche Zukunft eröffnen, muss man – so ist meine Schlussfolgerung – ein neues Schulsystem begründen, das praktischen und schulischen Wissenserwerb miteinander verbindet und das von einem neuen Geist des Entdeckens und Experimentierens getragen ist. Dazu gibt es seit den 1950er Jahren mit der Hibernia Schule in Herne ein Vorbild, eine Waldorfschule, die das Erlernen eines Handwerks mit dem Erwerb der Fachhochschulreife oder des Abiturs verbindet. Als weitere Vorbildschule betont die vor wenigen Jahren neu gegründete Evangelische Gesamtschule im sozialen Brennpunkt Gelsenkirchen-Bismarck mit ihrem pädagogischen Konzept die Aufgabe der sozialen Integration, wobei Projektarbeit in kleinen Teams eine wichtige Rolle spielt.

Das Handwerkliche und die Projektorientierung erscheinen hier also als Motivationsmittel des Lernens und des Wissenserwerbs. Damit wird zugleich auch eine Produktorientierung im Denken befördert, eine wichtige Grundlage, um haptisch als Ganzes begreifbare Produkte denken zu können.

Im weiteren möchte ich einige Thesen zur Zukunft des Lernens eher als Fragen verstehen, über die sich nachdenken und diskutieren lässt:

Der Computer hat immer größere Produktentfernung gebracht, der 3D-Drucker vollendet diese; die neuen Klone verschleiern jeden Bezug zu Herstellungsprozess, Konstruktion und Materialität des Produkts. Es wird in Daten und Algorithmen zerlegt, die sich bald auch selbst zu Ende denken könnten.

An die Stelle der Produktfertigung durch den Menschen tritt das Verstehen der im elektronischen Prozess inkorporierten Fertigungsvorgänge, ihres Ressourcenaufwands, und ihrer Technikfolgen; sie wird zur Aufgabe der Steuerung. Damit ist jedoch noch kein Halt in der erweiterten Produktorientierung; hinzu treten die ethischen Fragen der zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen und zum sparsamen Umgang mit den Ressourcen zulässigen Herstellungsmengen und die der Verteilungsgerechtigkeit. Das sind neue Herausforderungen, die über das klassische Produktverständnis des Bauhauses hinausreichen. Das schön gestaltete Produkt ist nur noch schön, wenn es die weiterreichenden Maximen des gesellschaftlichen Ganzen erfüllt. Die neuen Schulen müssen auch die Wege in dieses erweiterte Denken eröffnen.