Hermann Rieth 1953 - 2021

Nachruf

Der Deutsche Werkbund Baden-Württemberg trauert um Hermann Rieth.

Hermann Rieth wurde am 15. Februar 1953 in Wuppertal geboren. Der Vater war Landschaftsgestalter, die Mutter Lehrerin. Nach dem Abitur studierte er Physik und Mathematik in Hamburg machte seinen Abschluss für das Lehramt 1979. Schon während des Studiums machte er Motorradreisen nach England, Schottland, auf die Hebriden. Dort lernte er drei Dinge kennen, die sein Leben wohl sehr beeinflusst haben: 1. Skudden-Schafe; 2. das Weben; 3. den Dudelsack. In seiner Art, den Dingen ganz und gar auf den Grund zu gehen, legte er sein Lehramtsdiplom zur Seite und begann in Hamburg eine Weberlehre, die er mit Auszeichnung und Gesellenbrief beendete. Hand-Werk, Gestaltung und Interesse an Pädagogik haben ihn dann 1983 an das Waldorflehrerseminar nach Stuttgart geführt, mit der Zielrichtung, Werklehrer zu werden. Es folgten drei Jahre als Werklehrer an der Waldorfschule Pforzheim. In dieser Zeit heiratete seine Frau Elke. Dann bewirbt er sich an der im Aufbau befindlichen Waldorfschule in Schwäbisch Hall. Die Baustelle zieht ihn offensichtlich an. Es ist eine weitläufige Baustelle. Aus dem ehemaligen großen Hofgut Teurershof soll durch Neu-, Um.- und Zubauten eine Waldorfschule eigener Prägung entstehen. Die alte Wagenremise wird Hermann Rieths Reich. Zimmermannshose, Leinenkittel, feste Schuhe sind sein Erkennungszeichen. Kräftiger Händedruck und klare Worte ebenso. Der Architekt kann den Werkbereich Weben und die Holzwerkstatt von seiner Sorgenliste streichen. Ohne viel Aufhebens entsteht durch Hermanns Einsatz eine stimmungsvolle Werkstatt. Industrielle Werkraumausstatter hatten hier wenig Chancen, dafür gab es hervorragendes Werkzeug, peinlich ordentlich aufbewahrt und immer scharf. Bald danach kaufen die Rieths eine alte Hofstelle in dem kleinen Weiler Sülz. Das Haus braucht alle Instandsetzungen. Auch hier kann die Gebietsreferentin des Landesdenkmalamtes das Objekt von ihrer Sorgenliste streichen, Hermann Rieth muss nichts erklärt werden, er geht dem Haus auf den Grund, lernt aus dem Haus und wird dem Haus gerecht. Wiesen, Hof und Scheune geben ideale Bedingungen für die Schafhaltung, die sogleich beginnt. In diese Zeit fällt auch seine Initiative für die „Sackpfeifertage“ auf der Comburg bei Schwäbisch Hall, die er 20 Jahre lang mit organisiert. Derweil entwickelt sich die Waldorfschule in Schwäbisch Hall, platzt aus allen Nähten. SchülerInnen müssen abgelehnt werden. Da bietet Hermann Rieth einer Gruppe von Kindern, die, der Not gehorchend an die „normale“ Schule gehen müssen, an Nachmittagen in seiner Werkstatt in Sülz, Unterricht im Werken an. Seine Erkenntnis über die Bedeutung des Hand-Werks, der Materialerfahrung und die Übung der Geschicklichkeit der Hände für die Entwicklung junger Menschen hat ihn leidenschaftlich befeuert.

„Mit Lernen meine ich, vor allem Kennenlernen von Teilen der realen, physischen Welt. Indem sich die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand richtet, werden Zentren im Gehirn besonders aktiv, die mit der sinnlichen Wahrnehmung befasst sind. Je intensiver diese Wahrnehmung stattfindet, desto mehr steigt die Verarbeitungstiefe der Eindrücke. Das bedeutet, dass mehr Synapsen beteiligt sind, die beteiligten Synapsen sich stärker verändern, oder es geschieht beides zugleich.“ (Zitat Hermann)

In der Klassenstufe 3, – in der in der Waldorfschule die sogenannte Bauepoche stattfindet, hat er dann in seinem Bauernhof das 1. Kinderhaus mit „seinen“ Kindern gebaut. Ca. 3×3 m groß, Satteldach, Ziegeldeckung. Alles handwerklich stimmig gebaut, ohne Zeitdruck, dafür mit hoher Sorgfalt, mit allen Teilaspekten des Bauens. Die Idee „Klein Sülz“ war geboren. Nach und nach kamen weitere Häuser dazu, es sollten acht Stück werden. 2006 entstand die Schmiede, eine voll funktionsfähige Schmiedewerkstatt für Kinder. Nicht Tradition oder Handwerksidylle war sein Antrieb, sondern rigoroses „auf den Grund gehen“. Mit Hilfe seiner Bautagebücher entstand später das Buch „Hausbau mit Kindern“. „KLEIN SÜLZ“ wurde 2014 für das Werkbund Label vorgeschlagen, das dann im Mediatower in Offenburg an Hermann Rieth und seine Kinder- Bautruppe überreicht wurde.

Hermann Rieth wurde ein stolzer und sehr engagierter Werkbündler. Er fand in der Stuttgarter Stadtgruppe echte Freunde, und sie einen echten Freund in ihm. Sein Anliegen wurde geschätzt, ebenso wie sein Mitwirken und Mitdiskutieren der unterschiedlichsten Themen. Kaum ein Monatstreffen hat er ausgelassen. Auch an den online-meetings nahm er teil, gegen Ende vom Bett aus.

Seit vier Jahren wusste er von seiner schweren Krebserkrankung. Er hat sich mit einer ganz ungewöhnlich starken Kraft und Zuversicht auf dieses Schicksal eingestellt. Auch in schlimmen Phasen war er optimistisch, ohne je die Krankheit zu verdrängen. Die Krankheit hat seinen Körper betroffen, nicht seine Seele. Am 26.September ist er dem Krebs erlegen.

Es war für alle Trauernden auf dem Friedhof Gottwollshausen ein bewegender Moment, als ganz zum Schluss der Trauerzermonie, direkt am Friedhof angrenzend, der Regionalzug vorbeifuhr und alle Anwesenden daran erinnert wurden, dass Hermann Rieths Lieblingsprojekt, die „Klein-Sülzer-Eisenbahn“, noch nicht fertiggestellt ist.

Uns wird seine grenzenlose Zuversicht und sein Brennen für die Aufgabe in steter Erinnerung bleiben.

 

Nachruf von Wolfgang Kuhn

Verfasser
Deutscher Werkbund Baden-Württemberg e.V.

Rubrik
Mitglieder