Der Ernst-Ludwig-Platz in Mainz
Der Ernst-Ludwig-Platz entstand im Wandel vom Kurfürstlichen Schlossgarten über einen Parade- und Exerzierplatz der Bundesfeste, einen Versammlungsort in Wilhelminischen Zeiten, zur größten Frei- und Grünfläche in der nach dem letzten Krieg wieder aufgebauten Innenstadt.
Bild 2: Schlossgarten 1753
In kurfürstlichen Zeiten, genauer ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, hatte das Schloss eine als Lustgarten angelegte barocke Parkanlage, die zwischen der Großen Bleiche und dem Festungswall (heute Kaiserstraße) bis hin zur Goldenrosskaserne (heute Landesmuseum) weit in den Stadtraum hineinragte (Bild 2). Nachdem Kurfürst Lothar Franz von Schönborn (1695-1729) gegenüber der Mainmündung sein Lustschloss Favorite samt spektakulärer Gartenanlage errichtet hatte, zeigten seine Nachfolger kein Interesse an der weiteren Nutzung und Pflege des Schmuckgartens am Stadtschloss. 1776 ließ Friedrich Carl Joseph von Erthal die Anlage roden und die ausgewachsenen Bäume zur Straßenzierde an die Rheinallee verpflanzen, eine aufwendige Aktion, die vier Jahre dauerte.
Bild 3: Paradeplatz 1840
Auf der frei geräumten Fläche vor dem Stadtschloss fanden nun Paraden, militärische Übungen und kurfürstliche Hofjagden statt (Bild 3). In der darauf folgenden französischen Zeit der Republik gab es euphorische „Freiheitsfeste“ und während der französischen Revolution fanden auf dem „Place de la Liberté“ gnadenlose Hinrichtungen mit der Guillotine statt.
In einem Akt der Demütigung vergangener Zeiten bestimmte Kaiser Napoleon, das ehemals kurfürstliche Schloss zu einem Lagergebäude des am Rhein entstehenden französischen Zollhafens. Entsprechend erfolgte mittels Hallen, Schuppen und Umfassungsmauern eine hermetische Abriegelung des Schlosses zur Innenstadt. Nach der Bestimmung von Mainz zur Bundesfestung verstärkte sich ab 1814 die militärische Nutzung des Platzes. 1842 begann der Bau der mit 250 Metern überlangen, bombensicheren Schlosskaserne, die von der Rheinallee bis zur Kaiser- Friedrich-Straße reichte. Sie verkürzte den vormals rechteckigen Schlossplatz annähernd in ein Quadrat, eingerahmt von einer umlaufenden Allee mit Lindenbäumen. Neben Aufmärschen des Militärs und Paraden zu Kaisers Geburtstag entdeckten auch die Fastnachtsgarden diesen Platz für ihre närrischen Manöver.
Nach Aufgabe der Schlosskaserne samt davor liegendem Exerzierplatz im ausgehenden 19. Jahrhundert erkannte der Mainzer Stadtrat die Chance, an diesem Schnittpunkt von historischer Altstadt und gerade unter Eduard Kreyßig entstehender Neustadt ein urbanes Zentrum mit Rathaus, Gutenbergmuseum, Stadtbibliothek und einem Wohnquartier bis zur Kaiserstraße zu errichten. Den hierfür reichsweit ausgelobten Planungswettbewerb gewann der 28-jährige Stadtplaner, Architekt, Denkmalpfleger und kurz zuvor zum Hochschulprofessor in Darmstadt ernannte Friedrich Pützer (1871-1922). Ihm gelang „ein in die Umgebung hineingedichtetes Gesamtkunstwerk“ (Bild 4). Höhepunkt des neuen Zentrums war die Verschmelzung vom Schlosshof mit dem Schlossplatz und die einrahmende Randbebauung mit Schloss, Gutenberg-Museum und Rathaus, dessen selbstbewusster Turm in der Mainzer Stadtsilhouette ein neues Zeichen setzen sollte.
Bild 4: Zentrumsplanung am Schloss 1900
Pützers Entwurf kam in dieser Form nicht zur Ausführung. Ein Jahr später erfolgte die großherzogliche Anordnung aus Darmstadt, unmittelbar neben dem geplanten Rathaus für das Landgericht der Provinz Rheinhessen ein Justizgebäude mit Gefängnis zu errichten. Es wurde das Erstlingswerk des später bekannten Stuttgarter Architekten Paul Bonatz (1877-1956). Wiederum ein Jahr später, 1902, erfolgte zu Ehren des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein (1868-1937), 1901 Initiator und Mäzen der im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe gekürten Darmstädter Mathildenhöhe, die Umbenennung des Schlossplatzes in Ernst-Ludwig-Platz. Über zehn Jahr versuchte die Stadt Mainz, das Rathaus sowie das Gutenberg-Museum nach Pützers Plänen zu realisieren. Der Erste Weltkrieg und die anschließenden Notzeiten brachten jedoch das ehrgeizige Projekt zu Fall. 1922 erhielt der Ernst-Ludwig-Platz seinen ursprünglichen Namen Schlossplatz zurück.
Mit geänderter Grünflächenpolitik hatte die Stadt Mainz 1928 beschlossen, den Schlossplatz zukünftig nicht zu bebauen. Daran hielt sich ein namentlich unbekannter Mainzer Architekt nicht und entwarf 1931 nach Abzug der Französischen Besatzungstruppen auf dem Schlossplatz parallel zur Großen Bleiche ein Rathaus im zeitgemäßen Bauhausstil, das in einen kombinierten Rathaus- und Schlosshof münden sollte (Bild 5). Die örtliche Presse wetterte dagegen, „weil jetzt schon täglich tausende von Kraftwagen diese Straße durchsausen“ und man es den Beamten nicht zumuten könne, „in diesem Lärm, Staub und Autogestank zu arbeiten“. Gebaut wurde nicht und der Schlossplatz hieß ab 1933 wieder Ernst-Ludwig-Platz.
Bild 5: Rathaus auf dem Schlossplatz 1931
Der Zweite Weltkrieg führte zur fast vollständigen Zerstörung der den Ernst-Ludwig-Platz begrenzenden Gebäude. Das ehemalige Kurfürstliche Schloss, die unter Napoleon erstellte Steinhalle, die barocken Prachtbauten Deutschhaus und Zeughaus, die Kirche St. Peter mit ihren Zwillingstürmen, das Justizgebäude mit Gefängnis bis hin zu der in den Platz perspektivisch einwirkenden Christuskirche waren ausgebrannte Ruinen. Die für den Wiederaufbau der Innenstadt Verantwortlichen waren sich einig, diese den Ernst-Ludwig-Platz und auch die Mainzer Stadtsilhouette prägenden Bauten zumindest in ihrem äußeren Erscheinungsbild zu rekonstruieren. Ausnahme war die von Napoleon verordnete sogenannte Steinhalle, die den ehemals Kurfürstlichen Schlossgarten in einen Schlosshof und einen Schlossplatz trennte.
Wiederaufbau des Deutschhauses 1950/51
Seitens der Stadtverwaltung gab es Überlegungen, das Umfeld des Schlosses neu zu organisieren. Zur Auflockerung der eng bebauten Altstadt und vor allem zur Naherholung der Bewohner im dichten Stadtgetriebe sollte hier ein „Neuer Schlosspark“ als zusammenhängende Grünfläche von der Rheinuferpromenade bis zur Kaiser-Friedrich-Straße entstehen. Die Stadt Mainz, Eigentümerin des Schlosses, wollte deshalb die Ruine der Steinhalle abreißen, um Schlosshof und Ernst-Ludwig-Platz wieder weiträumig zu vereinen. Die staatliche Denkmalpflege verlangte dagegen, diesen fast einzigen Zeitzeugen napoleonischer Baukunst in Mainz nach historischem Vorbild zu rekonstruieren. Hinzu kam der Wunsch des Römisch-Germanischen-Zentralmuseums, auf dem Ernst-Ludwig-Platz einen viergeschossigen Bau für seinen Eigenbedarf zu errichten. Die Bezirksregierung von Rheinhessen forderte die Stadt Mainz auf, entsprechende Pläne anzufertigen. Diese sah ihr innerstädtisch großzügiges Freiraumkonzept gefährdet und reichte 1954 beim Verwaltungsgericht eine Klage dagegen ein. Es dauerte zwei Jahre, bis man einen vertretbaren Kompromiss gefunden hatte. Dem renommierten Stadtplaner Dr.-Ing. Egon Hartmann (1919-2009), damals noch in Diensten des Mainzer Baudezernats, gelang 1956 eine architektonische Lösung, die sich aus der städtebaulichen Situation heraus erklärte (Bild 6).
Bild 6: Studie Platzbebauung1956
Anstatt einer viergeschossigen Erweiterung des Justizgebäudes in den Ernst-Ludwig-Platz wählte er einen freistehenden, quadratischen, zweigeschossigen, neutral gestalteten Atriumbau, der zwischen dem mächtigen Justizgebäude und der Pracht des Schlosses vermitteln sollte. Ganz bewusst ein zweigeschossiger Solitär, um die Christuskirche als Blickfang von der Großen Bleiche und auch vom Platz der Mainzer Republik (vormals Deutschhaus) wahrnehmen zu können. Da die Ruine der Steinhalle aus statischen Gründen ohnehin niedergelegt werden musste, schlug Hartmann vor, die Halle beim Wiederaufbau aus funktionalen Gründen für die neue Nutzung zu verschmälern und zu verschieben, damit der vormals zu enge Schlosshof um sechs Meter verbreitert werden könne. Ein Vorschlag, der von allen Beteiligten akzeptiert und von den Mainzer Architekten Viertel und Ries umgesetzt wurde. Es dauerte jedoch fünf Jahre bis zur Ausführung. Rechtzeitig zu den Mainzer Jubiläumsfeiern 1962 erfolgte die Einweihung des Neubaus mit den Werkstätten im Erd und den Büroräumen im Obergeschoss. Zur gleichen Zeit und von den gleichen Architekten entstanden als westlicher Abschluss des Ernst-Ludwig-Platzes drei solitäre Ministerialdienstgebäude des Landes als städtebauliches Ensemble, dessen elfgeschossiges Hochhaus in keiner Konkurrenz zur Peterskirche stand und das dem repräsentativen Anspruch eines Regierungsviertels gerecht wurde (Bild 7). Eigentlich ein gelungenes Beispiel für die Nachkriegsmoderne in Mainz, das jedoch nach nur 30-jährigem Bestand niedergelegt und durch ein anderes Konzept ersetzt wurde.
Bild 7: Luftbild des Platzes 1969
Bild 8: Jubiläumsbrunnen 1963
Anlässlich der vermuteten 2000-jährigen Gründung von Mainz ließ die Stadt 1962 auf dem Ernst-Ludwig-Platz den sogenannten „Jubiläumsbrunnen“ errichten, der mit den symbolischen Mitteln Wasser und Stein die Entwicklung der Stadt Mainz aus einer Römersiedlung darstellt (Bild 8). Fortgeführt wurden diese geschichtlichen Bezüge mit dem Dativius-Victor-Bogen, einer Kopie des römischen Monumentes, das den bereits 1934 auf dem Deutschhausplatz aufgestellten Abguss der Jupitersäule ergänzte. Zusätzlich zur Gestaltung des Jubiläumsbrunnens hatte die Stadt Mainz dem in Wiesbaden tätigen Garten- und Landschaftsarchitekten Wolfgang Walter die Freiflächengestaltung für den Ernst-Ludwig-Platz und das gesamte Umfeld des Schlosses samt seinem Innenhof übertragen. Diese Planung aus einer Hand ermöglichte ein aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept.
Bild 9: Jubiläumsbrunnen 2013
1902, vor 120 Jahren, erhielt der ehemalige Schlossplatz seinen heutigen Namen. 1962, vor 60 Jahren, seine jetzige Gestaltung (Bild 9). Sie wirkt mittlerweile ungepflegt, ist aber in ihren Leitgedanken so komplett erhalten, dass die Denkmalpflege sie als erhaltenswertes Zeitzeugendokument unter Schutz gestellt hat.
Der Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: conSens 4-2022 MZ
Bildnachweis
1 (Ansichtskarte Gebr. Metz, Tübingen) / 2, 3, 4, 5 (Stadtarchiv Mainz) / 6 (Erkner, Berlin) / ohne Nummer, Deutschaus (Domarchiv Mainz) / 7 (Landesbildstelle Koblenz) / 8 (RGZM Mainz) / 9 (Peter Karn, Mainz)
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