Forum Regierungsviertel 2023 – eine Stadt sucht (erneut) eine Vision
© : mamuth | Dipl.-Ing. Timm Helbach, freier Architekt dwb
Die Stadt Mainz lädt zum „Forum Regierungsviertel 2023“ und beabsichtigt in partizipativen Abstimmungsprozessen Impulse, Ideen, Anregungen für die perspektivische Ausrichtung und Entwicklung dieses zentralen Stadtquartiers zu sammeln. Zu drei internen Foren werden sich Fachleute, Vereine und Fraktionen mit dem Thema auseinandersetzen und Visionen des Regierungsviertels der Zukunft erarbeiten. Parallel wird es durch die Stadt Mainz koordinierte, ergänzende Formate zur Meinungsbildung geben, mit verschiedenen Graden von gesellschaftlicher Teilhabe. Es scheint, als hätten die Stadtoberen ihre Schlüsse aus gescheiterten Planungsprozessen der jüngeren Vergangenheit gezogen. In einem größeren Maß an öffentlicher Beteiligung erkennt man heute anscheinend die Chance, einem weiteren Bibelturm-Waterloo zukünftig zu entgehen. Jeweils eine Vertretung durften die von Stadtseite geladenen Organisationen zu den Foren entsenden. Vorstandsmitglied Timm Helbach wird versuchen, das interdisziplinäre Wissensspektrum des Deutschen Werkbund RLP zu einer klaren Haltung innerhalb des bevorstehenden Diskurses zu bündeln und in die Foren hineinzutragen. Nach und vor den einzelnen Forenterminen trifft sich der DWB RLP zur Nachbesprechung und Ergebnisanalyse, um den Prozess bestmöglich zu begleiten.
Der Deutsche Werkbund RLP kann hier als interdisziplinäre Schnittstelle von Experten und Expertinnen verschiedenster Disziplinen eine Sonderrolle im bevorstehenden Forum einnehmen. Daher gilt es, diese Wissenssynergien bestenfalls zu einer inhaltlichen Gesamthaltung zu bündeln und diese durch den entsprechenden Vertreter im Diskurs zu positionieren.
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Zeitschienen, Bausteine, Nutzungsgruppe – Transformation als Ziel
Bereits 2008 und 2009 hatte die Stadt Mainz sich innerhalb verschiedener „Foren“ mit der Neuausrichtung des Quartiers beschäftigt. Zur letztlichen Umsetzung kamen die Ergebnisse der damaligen Abstimmungen jedoch nur in Fragmenten. Zu vielfältig sind die verschiedensten stadtplanerischen, architektonischen und gesellschaftlichen Problemfelder des Quartiers. Klimawandel, globale Pandemien, Mobilitätswende, aussterbende Innenstädte, internationale Kriegskonflikte, sowie unverhoffter Reichtum haben die Karten für diesen Abstimmungsprozess zwischenzeitlich jedoch neu gemischt. Noch immer herrscht bei den einzelnen Quartiersbausteinen eine komplexe und teils widersprüchliche Bedarfssituation, die es zu einer zeitgemäßen und dynamischen städtebaulichen Vision zu sortieren gilt..
Aus Sicht des Deutschen Werkbund RLP kann dieser Prozess nur gelingen, wenn man es schafft, sich von der unumstößlichen Vision eines fernen baulichen Idealzustands zu lösen, sondern den fortschreitenden, personenunabhängigen Transformationsprozess als anzustrebenden Idealzustand akzeptiert. Zu wechselhaft sind die Anforderungen der modernen Stadt an ihre Zentren, zu dynamisch die bereits erfolgten und bevorstehenden technischen Innovationen. Es gilt, durch eine Mischung aus kurzfristigen städtebaulichen Impulsen, mittelfristigen Transformationsprozessen und langfristigen Ankerprojekten die Balance zwischen Dynamik und Profilschärfe in der kontinuierlichen Quartiersentwicklung zu wahren.
Mit dem Ministerium für Justiz, Landessozialgericht, Staatskanzlei, Landtag und Deutschhaus sind viele Stadtbausteine des Viertels bereits mit demokratischen Nutzungen untrennbar belegt. Hinzu gesellen sich derzeit mit dem Naturhistorischen Museum, der Anne-Frank-Realschule plus, sowie dem Allianzhaus Bildungs- und Kulturinstitutionen mit teils überregionaler Bedeutung – auch mögliche Nachnutzungen des Allianzhauses orientieren sich an dieser Programmatik. Derzeit ohne Nachnutzung, drängen sich das ehemalige Laborgebäude des RGZM und die angrenzende Steinhalle geradezu auf, um kurzfristige Nutzungsimpulse im Quartier zu setzen, sowie mögliche Synergien experimentell und auf Zeit zu erproben. Die Zwischennutzung von Gebäuden ist längst ein kleines Erfolgsrezept der Mainzer Kulturlandschaft. Mittelfristig könnte sich aus diesen innerstädtischen Experimentierfeldern auch eine wirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich sinnvolle und bautechnisch angemessene Nutzung für das Kurfürstliche Schloss entwickeln..
Umspielt werden diese architektonischen Quartierskomponenten von ihren angrenzenden öffentlichen Freiflächen, mit teilweise akutem Bedarf an inhaltlicher Überarbeitung. Viel diskutiert und kurzfristig nicht zu lösen ist hierbei sicherlich die Rolle des Ernst-Ludwig-Platzes, während jedoch bei der Überarbeitung des angrenzenden Parkplatzes schneller eine breite Zustimmung für kurzfristige Interaktionen und urbane Aneignung durch die Bevölkerung zu finden sein dürfte. Der Ernst-Ludwig-Platz ist die zentrale innerstädtische Grünfläche und sollte aus Sicht des DWB RLP noch stärker von seinen differenzierten Nutzungsgruppen bespielt und diesen zur temporären inhaltlichen Aneignung überlassen werden. Mit dem Reallabor hat der DWB RLP hier schon frühzeitig mögliche Werkzeuge für partizipative Transformationsprozesse aufgezeigt.
© : mamuth | Dipl.-Ing. Timm Helbach, freier Architekt dwb
Mobilität und Klima als untrennbare Stellschrauben
Ein entscheidender Faktor für die zukünftige Attraktivität der innerstädtischen Freibereiche ist deren verkehrstechnische Anbindung sowie der Grad an Versiegelung, um klimabedingter Überhitzung entgegen zu wirken. In den sechziger Jahren galt die Stadtachse zum Regierungsviertel, die „Große Bleiche“, noch als Musterstraße der „autogerechten Stadt“. Andere europäische Städte haben längst verstanden, dass ihre Innenstadt einer verkehrstechnisch radikalen Neuausrichtung bedarf. Scheinbar ohne Rücksicht auf mögliche Mobilitätsverluste widmen Städte wie Amsterdam, Wien, Kopenhagen und neulich sogar Paris ihre Hauptverkehrsachsen zu autofreien Zonen um. So gelingt es diesen Metropolen auch, zukunftsfähigen, attraktiven und klimagerechten Stadtraum für ihre BewohnerInnen zu erzeugen und solche, die es noch werden möchten. Auch Mainz konkurriert innerhalb der Metropolregion um Fachkräfte und wiedererstarkte Tourismusströme – die innerstädtische Lebens- und Aufenthaltsqualität ist hierbei ein zentraler Faktor.
In einem ersten Schritt soll die Teilstrecke zwischen Bauhofstraße und Peter-Altmeier-Allee diesen Sommer temporär eine individualverkehrsfreie Testphase durchlaufen. Der Stadtplaner Egon Hartmann sah im Regierungsviertel am Ende der großen Bleiche immer das Pendant zum Domquartier. Hier endet die große Stadtachse als französisches Erbe vor dem Rheinufer. Das Quartier ist gleichermaßen Auftakt wie Ziel des Stadtspaziergangs und kann zukünftig Impulsgeber für die gewerbliche Problemzone „Große Bleiche“ werden. Das Regierungsviertel bildet als Abschluss dieser Stadtachse auch städtebaulich das Pendant zum Domquartier und muss diesem zukünftig auf Augenhöhe begegnen.
© : mamuth | Dipl.-Ing. Timm Helbach, freier Architekt dwb
Demokratie, Bildung, Medien – dynamische Prozesse um ein konstantes städtebauliches Leitbild
Planerisch ist es nicht zu leisten, alle bestehenden und noch bevorstehenden baulichen Parameter in einen klar definierten Masterplan für die Quartiersentwicklung einfließen zu lassen. Letztlich gilt es für die Zukunft des Regierungsviertels vielmehr, eine angemessene Balance zwischen Dynamik und Kontinuität zu finden. Dieses Zusammenspiel verschiedener Zeitschienen der urbanen Transformation gelingt aus Sicht des DWB RLP bestenfalls, wenn man für das Viertel ein klares Leitbild herausarbeitet, an dem sich alle Transformationsprozesse orientieren. Dieses Leitbild muss sich aus den bestehenden städtebaulichen Bausteinen ergeben und durch spontane Impulse, mittelfristige Transformnationsprozesse und langfristige Ankerprojekte gestärkt werden. „Bildung“ und „Demokratie“ sind quartierseigene Themen, die es um ein Mainzer Impulsthema zu ergänzen gilt, um den erforderlichen Wandel des Viertels endlich richtig anzustoßen. Innerstädtisch ist die „Medienstadt Mainz“ in der öffentlichen Wahrnehmung bedauerlicherweise kaum erfahrbar. Obwohl hier ein paar der bedeutendsten Fernsehanstalten die deutsche Kulturlandschaft prägen und auch das vielseitige Bildungsangebot der Hochschulen diesen Anspruch deutlich unterstreicht. Im Kosmos der „Medien“ kann dem Regierungsviertel ein kulturelles Leitthema hinzugefügt werden, das das Gutenbergmuseums als „städtebauliches und konzeptuelles Pendant“ auch zukünftig nicht abdecken kann und will. Reichlich Potential für einen Medienstandort von der Bedeutung des Karlsruher „Zentrums für Kunst und Medien“ (ZKM) hat die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt allemal. „Demokratie, Bildung, Medien“ können als Säulen der einzelnen Entwicklungsbausteine des Quartiers dienen und gleichzeitig ein Quartier mit Alleinstellungsmerkmal in der Metropolregion Schritt für Schritt entstehen lassen. Im medialen Kontext können auch kurzfristig temporäre Interaktionen und Installationen den Aufbruch zum angestoßenen Transformationsprozess veranschaulichen und erklären.
Der Themenkosmos „Demokratie, Bildung, Medien“ spiegelt authentische Mainzer Identitätsbausteine, die es für die StadtbewohnerInnen aller Altersgruppen und unterschiedlicher Bildungshintergründe und Gäste aus aller Welt erfahrbar zu machen gilt: mit kurzfristigen Impulsen und langfristigen Visionen vom besten Mainz, das man sich wünschen kann. Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse des bevorstehenden Forums zu Maßnahmen führen, die den Mainzer Stadtraum kurz-, mittel- und langfristig positiv gestalten – der Deutsche Werkbund RLP wird sich konstruktiv an diesem Prozess beteiligen.
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