Himmel über dem Hunsrück

Landschaften zu Industriegebieten

Mit seinem Satz brachte es Robert Habeck auf den Punkt: „Das Antlitz des Landes wird sich verändern“.

Der gerade angetretene Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz prognostizierte im Dezember 2021 die Auswirkungen der Energiewende weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien. Knapp ein halbes Jahr später wird der russische Einmarsch in die Ukraine und ein (hoffentlich bald vollständiges) Energie-Embargo gegen Russland diese Veränderungen wohl noch beschleunigen.

Bis 2030 sollen „Freiheitsenergien“ (Bundesfinanzminister Christian Lindner) vier Fünftel der in Deutschland verbrauchten Strommenge decken. Vor allem den Windrädern an Land kommt die Aufgabe zu, den erforderlichen Ökostrom zu erzeugen: 115 Gigawatt Leistung sind als Ziel für 2030 gesetzt; um es zu erreichen, sollen ab 2025 jährlich zehn Gigawatt zugebaut werden. Eine Art Vorfahrtsregel soll nach dem Willen der Bundesregierung ein Ausbremsen der Energiewende verhindern: „Die Nutzung erneuerbarer Energien liegt im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit.“

Windrad von unten
Moderne Windräder sind 250 Meter hoch. Bild: Jan Kopriva, Unsplash

Welchen Wert hat Landschaft?

Mit modernen Windrädern ziehen massenhaft großtechnische Anlagen zur Stromproduktion in die Landschaft ein. Es sind dort keineswegs die ersten Produkte aus industrieller Serienfertigung – nur haben wir uns nach über hundert Jahren an Strommasten, Straßen, Schienen und Fahrzeuge gewöhnt. Und natürlich muss daran erinnert werden, dass der Mensch schon im Mittelalter begann, Natur- in Kulturlandschaften zu verwandeln: Wildnis wurde zu Äckern, Holz aus Wäldern wurde verheizt, ebenso Kohle aus Gruben und getrockneter Torf aus Mooren. Flüsse wurden begradigt für den Schiffsverkehr und gestaut für die Energieproduktion, Täler von Brücken überspannt und Berge von Tunnels durchbohrt.

Während Wälder und Moore, Bäche und Flüsse vielerorts renaturiert werden, markiert die Entscheidung pro Energiewende den Beginn neuer Belastungen: Die Rede ist vom steigenden „Veränderungsdruck“, dem Landschaft ausgesetzt ist. Catrin Schmidt, Professorin für Landschaftsplanung an der TU Dresden, erarbeitete im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz eine Studie mit dem Titel: „Ansätze zur bundesweiten Bewertung der Landschaft“. Anhand erneuerbarer Energien vergleicht und empfiehlt die (bislang unveröffentlichte) Studie Verfahren, wie sich Landschaftsbilder in Deutschland bewerten lassen. Wird die auf dieser Basis entstehende Deutschlandkarte ausreichen, um den Ausbau der Windenergie im großen Stil durchzusetzen?

Wo Mensch und Natur zusammenwirken

In der Europäischen Landschaftskonvention wird Landschaft so allgemein wie nüchtern definiert als „ein vom Menschen als solches wahrgenommenes Gebiet, dessen Charak­ter das Ergebnis des Wirkens und Zusam­menwirkens natürlicher und/oder anthro­pogener Faktoren ist“. Ein solcher Faktor ist die neue Klasse von Windkraftanlagen mit Höhen um 250 Meter ganz unverkennbar, und er wird vielerorts optisch wirksam werden. Die Fachwelt spricht von „Repowering“, wenn kleinere Altanlagen durch solche hohen leistungsstarken Windräder ersetzt werden. Sie vor allem werden gebraucht, um in Deutschland die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Frankreich und Großbritannien bauen dafür die Kernkraft aus, Deutschland steigt aus dieser Technologie aus.

Bewaldete Kuppe in der Eifel
Typische Eifeler Landschaft. Bild: Daniel Gimbel, Unsplash

Es muss nicht gleich Botho Strauss zustimmen („brutalste Zerstörung der Landschaft seit Beginn der Industrialisierung“), wer angesichts der neuen Windrad-Dimensionen nachdenklich wird. Zum Vergleich: Der Berliner Fernsehturm misst 368 Meter, der Schornstein des Braunkohlekraftwerkes Buschhaus (seit 1. Oktober 2020 stillgelegt) 307 Meter. Wikipedia listet fast fünfzig Bauwerke in Deutschland ab 250 Metern Höhe – meist im „technisch-urban dominierten Siedlungsraum“ (Werner Nohl). Und bis 2030 braucht es laut Robert Habeck „tausend bis tausendfünfhundert“ neue Windräder in Deutschland – pro Jahr! Die Bundesländer sind aufgefordert, zwei Prozent ihrer Flächen als Anlagenstandorte für erneuerbare Energien bereitzustellen. Sogar Landschafts­schutzgebiete werden für die Windkraft geöffnet.

Ästhetik der Energiewende

Für den Landschaftsarchitekten und Honorarprofessor der TU München Werner Nohl sind Wind­kraftanlagen „technische Großfiguren, die in ihrer Gestalt alle Landschaftsmaßstäbe sprengen“. Er fordert daher, auf einen weiteren Ausbau der Landschaft als regenerative Energiequelle zu verzichten und weitere Wind­kraftanlagen nur noch in Nord- und Ostsee zu errichten – „in gebührendem Abstand zu Küsten und Inseln“. Ganz anders sieht das Sören Schöbel, Professor für Landschaftsarchitektur regionaler Freiräu­me an der TU München: Für ihn kann es nicht darum gehen, die mit Blick auf den Klimaschutz erforderlichen Veränderungen zu verhindern – er will sie gestalten. Dabei soll aber ästhetischen Überlegungen ein höheres Gewicht eingeräumt werden als bisher.

Schöbel veröffentlichte 2012 einen Leitfaden zur „landschaftgerechten Anordnung von Windfarmen“. Darin beschreibt er Möglichkeiten, Windenergie- und Solaranlagen in die „Morphologie der Landschaft“ einzupassen. In vielen Vorträgen und Publikationen plädiert der Landschaftsarchitekt außerdem für neue Formen der Bürgerbeteiligung: Bewohner einer Region sollen in einem ge­meinsamen Projekt über Standorte und Bau von Windrädern entscheiden – weil sie ihre Heimatlandschaft dann auch mit anderen Augen betrachten. Gestärkt werden soll diese Sicht auch durch finanzielle Anreize: Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung soll außerdem die finanzielle Beteiligung von Bürgern und Kommunen werden: Wind- und Solarprojekte von Bürgerenergiegesellschaften sollen „unbürokratisch realisiert werden“ können, und es soll flankierend ein neues Förderprogramm für die Bürgerenergie geben.

Beispiele aus Europa

Petra Ahne, Redakteurin im Feuilleton der FAZ, führt in einem Artikel Beispiele an, wie andere Ländern mit dem Thema umgehen. In Schottland wird der Bevölkerung per Simulation gezeigt, wie eine Gegend mit Windrädern aussähe (Virtual Landscape Theatre). Es gibt ein offizielles Handbuch zum Bau von Windfarmen, mit Skizzen, auf denen zu sehen ist, welche Platzierung welchen Ein­druck hervorruft.

In Frankreich gibt das Ministère de la transition écologique in mittlerweile vierter Auflage einen Leitfaden für die Umweltverträglichkeitsprüfung von Onshore-Windparks heraus. Die französische Regierung erklärt darin ganz offen und offiziell, dass Windparks sich aufgrund der Größe ihrer Anlagen nicht „kaschieren“ lassen: „Es muss weniger darum gehen, die Landschaft gegenüber den Windenergieanlagen zu erhalten und zu schützen, sondern viel­mehr, sich eine gelungene Landschafts­gestaltung zum Ziel zu setzen.“

Eine Chance für den Werkbund

Wanderer sitzt auf Felsen und schaut über den Hunsrück
Der Himmel über dem Hunsrück. Bild: Andreas Bayer, Unsplash

Blicken wir auf Rheinland-Pfalz: Zwar hat es Anschluss an Rhein-Main und Rhein-Neckar, dennoch ist dieses Bundesland keine Metropolenregion. Es ist ländlich geprägt, mit historischen Siedlungsformen in Flusslandschaften – darunter das Mittelrheintal, Inbegriff der Rheinromantik und Weltkulturerbe. Rheinland-Pfalz, das sind aber auch Eifel und Hunsrück, Pfälzerwald und Westerwald: Auf diesen abwechslungsreichen Mittelgebirgen wächst nicht nur artenreicher Mischwald: die sanft gewellten Höhenlagen bieten ideale Bedingungen für Windkraftanlagen.

Der Deutsche Werkbund Rheinland-Pfalz ist laut Satzung „Ort kritischer Auseinandersetzung für alle Fragen der sich wandelnden Umwelt des Menschen“. In diesem Sinne sieht er sich ganz in der Nachfolge des 1907 gegründeten Werkbundes. Deutschland muss fossile Energieträger ersetzen, denn wir wollen die Klimaschutzziele erreichen, die unkalkulierbaren Risiken der Kernenergie vermeiden und zugleich unseren Lebensstandard sichern. Diese Transformation wird ganz Europa stark verändern – nicht nur in Form neuer Windräder. Wie gestalten wir als Werkbund diesen fundamentalen Wandel mit?

Stefan von den Driesch
Zweiter Vorsitzender Deutscher Werkbund Rheinland-Pfalz e.V.

Verfasser
Deutscher Werkbund Rheinland-Pfalz e.V.

Rubrik
Meinungsbeiträge