Ein Quartier in der Selbstfindungsphase - das Mainzer Regierungsviertel zwischen Partizipation und geplanter Stadtentwicklung

Ein Beitrag von Timm Helbach, freier Architekt dwb

 

1. Forum Regierungsviertel Mainz, Donnerstag 13. April 2023

Um ein möglichst differenziertes Meinungsbild zum Regierungsviertel abzubilden verteilten sich die Geladenen zum ersten Forum an fünf Tischen à 12 Personen:

•  Verwaltung Stadt Mainz

•  Anliegerinnen und Anlieger

•  politische Vertretungen

•  Expertinnen und Experten

•  Vertreterinnen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen

Umrahmt wurde diese kategorisierte Anordnung durch eine übergeordnete Lenkungsgruppe, bestehend aus Oberbürgermeister Haase, dem Denkmalschutz, der Stadtplanung und der Gebäudewirtschaft. Die Stadt Mainz hatte sich entschieden, die Foren durch die Agentur SQUIRREL & NUTS (Köln) moderieren zu lassen. Durch die Auftaktveranstaltung führten Herr Flügge und Frau Kellner. Mit dem Treffen im Kurfürstlichen Schloss bespielte man den zentralen Baustein des Quartiers zumindest an diesem Nachmittag durchaus inhaltlich sinnvoll. 

Die beauftragte Agentur erörterte zunächst die Komplexität der Ausgangslage und die Frage, warum die Ergebnisse der ersten Foren 2009 weitestgehend unrealisiert geblieben sind. Fehlende städtische Liquidität ist hierbei zweifelsohne ein zentraler Faktor gewesen. Die finanzielle Lage der Landeshauptstadt hat sich seitdem bekanntermaßen höchst erfreulich und sehr deutlich verbessert. Neben verschiedenen Formaten öffentlicher Partizipation, wolle man kurzfristige Impulse durch temporäre Interventionen setzen. Wie sich diese kurzfristigen Impulse gestalten und wer deren Konzeptionierung verantworten solle, wurde indes nicht weiter ausformuliert. Den Begrüßungsworten von Herrn Haase folgte überraschenderweise nicht die Ansprache der Bau- und Kulturdezernentin. Frau Grosse hatte zwar zum Format geladen, überließ die Bühne jedoch zum Auftakt dem neugewählten OB Haase und war an diesem Nachmittag auch nicht zugegen. Den „Freud‘schen Versprecher“ des Tages lieferte allerdings ohnehin der neue OB, indem er in seiner Ansprache das kollektive „Brainwashing“ zum Stadtviertel ankündigte – korrigierte jedoch schnell noch unter allgemeinem Schmunzeln auf das gewünschte „Brainstorming“ der ExpertInnen. Konnte man aus seinen Worten, er freue sich „ein wunderschönes Regierungsviertel bauen zu dürfen“, eine Tendenz in Richtung möglicherweise bereits erfolgter Gedankengänge oder gar Vorentscheidungen heraushören? 

Mit einem Impuls zur Historie des Stadtquartiers umriss Werkbundmitglied Rainer Metzendorf eindrucksvoll die bisherige Entwicklung des Regierungsviertels und ergänzte die geschichtlichen Ebenen mit Auszügen aus nicht realisierten Planungsansätzen. In der anschließenden Vorstellungsrunde sollten die Teilnehmenden die Veränderungen ihrer Disziplinen seit den letzten Foren 2009 umreißen. Auffällig war am Tisch der Expertinnen der offensichtlich starke Fokus auf baulichen Themen. Zum Deutschen Werkbund RLP gesellten sich hier unter anderem die Architektenkammer Rheinland-Pfalz, der Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung (LBB), der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), „Die Betonisten“ und die Bauabteilung des Ministeriums für Finanzen. Während der Altertumsverein und der Verein für Denkmalpflege – recht befremdlich – die offenbar herrschende Uneinigkeit zum Erhalt des RGZM Werkstattgebäudes öffentlich ausdiskutieren wollten, verwies Timm Helbach als Vorsitzender und für das Forum gewählter Vertreter des Deutschen Werkbund RLP darauf, dass allein der „Willen zum Bauen“ wohl keine zeitgemäße und der Komplexität der Anforderungen angemessene Antwort auf differenzierte städtebauliche Fragen und Themen sein könne.

Vielmehr, so das Fazit des ersten Forums, brauche es ein inhaltliches Leitmotiv für die zukünftige Entwicklung des Viertels. Von Seiten des Landtags wurde in diesem Zusammenhang signalisiert, dass man durchaus den Anspruch und Willen habe, sich transparent in der Öffentlichkeit zu präsentieren und dass Demokratie dem Viertel thematisch bereits seit jeher innewohne. Das Leitbild des Viertels – so der weitestgehende Konsens – müsse aus den gewachsenen inhaltlichen Themen des Quartiers weiterentwickelt und nicht von außen hineingetragen werden.

2. Forum Regierungsviertel Mainz, Donnerstag 15.06.2023

Im noch immer frisch saniert wirkenden Warford-Saal der Rheingoldhalle begrüßte die Bau- und Kulturdezernentin Grosse zum zweiten Forum. Ein wenig ernüchternd musste festgestellt werden, dass die an die für Politik und gesellschaftlichen Gruppierungen geladenen Tische nur noch teilweise dem Forum beiwohnten.

Die Agentur SQUIRREL & NUTS (Köln) verschaffte den Anwesenden zunächst einen Überblick zu den bisher erfolgten Bürgerrunden. Aus den Formaten mit Kindern und Jugendlichen glaubte man erkannt zu haben, dass ein erhöhter Bedarf an Grünflächen, bezahlbarem Gastroangebot und Orten des Lernens im Regierungsviertel besteht. Das zweite Forum stand unter dem Schwerpunkt denkmalpflegerischer Aspekte der möglichen Quartiersentwicklung.

Auf Nachfrage der Werkbund-Vertretung bekannte Frau Dr. Nessel als Leiterin der Denkmalpflege, dass der vom Rheinisch-Germanischen-Zentralmuseum (RGZM) nicht mehr benötigte Werkstattbau (siehe Abbildung oben) als Teil des städtebaulichen Gesamtensembles eindeutig unter die zu schützende Bausubstanz fällt.

Das Werkstattgebäude, so erklärte Frau Grosse erstmals öffentlich, wurde inzwischen dem Gutenbergmuseum als Ausweichfläche während der dortigen Umbauarbeiten zur Verfügung gestellt. Die angrenzende Steinhalle befinde sich noch bis Jahresende in Landesverantwortung und würde im Anschluss ebenfalls der Stadt – und somit dem Gutenbergmuseum – zur Nutzung überlassen. Aus Sicht des Werkbunds herrscht somit erstmals Klarheit der Ausgangslage für mögliche Interimsnutzungen und Zuständigkeiten. Vielleicht gelingt es in Kooperation mit dem Gutenbergmuseum, Teilflächen gemeinsam öffentlich zu bespielen. Zeitnah sollen hier erste Gespräche durch die Arbeitsgruppe World Design Capital – Metropolregion Frankfurt RheinMain des Werkbunds gesucht werden. Sie nimmt mit dem gerade erfolgten Zuschlag für Frankfurt RheinMain mit voller Kraft ihre Arbeit für Mainzer Aktivitäten auf.

Kein denkmalpflegerischer Schutzanspruch besteht laut Denkmalpflege gegenüber dem angrenzenden Parkplatz. Hier sieht man auch von städtischer Seite erhebliches Entwicklungspotential und -bedarf. Insgesamt bleibt festzustellen, dass der Freifläche Ernst-Ludwig-Platz im Zusammenspiel mit dem angrenzenden Schloss und ehemaligen RGZM-Ensemble eine Schlüsselrolle in der zukünftigen Quartiersentwicklung zukommen wird. Auf einen Hinweis zu den geplanten temporären Interaktionen wartete man im zweiten Forum allerdings vergeblich.

„Innerstädtische Interventionen“, 22. Juli bis zum 6. August und Ausblick  

Inzwischen haben die zweiwöchigen öffentlichen Interventionen auf dem Ernst-Ludwig-Platz stattgefunden, inklusive temporärer Stilllegung des Individualverkehrs auf Teilen der Großen Bleiche. Abweichend vom ursprünglich angekündigten partizipativen Konzept dieser „Interventionen“, blieb bis zuletzt völlig unklar, was dort eigentlich entstehen sollte und durch wen. Auf Anfrage des Deutschen Werkbunds RLP erklärte die Stadt, dass eigene Formate der am Forum beteiligten Gruppierungen weder vorgesehen noch erwünscht seien.

Das Feedback aus der Öffentlichkeit zu den dort errichteten Stationen fiel – (nicht nur aber) auch witterungsbedingt – eher ernüchternd aus.

Nun gilt es vor dem letzten Forum die geeigneten Schlüsse aus den Interventionen des Sommers zu ziehen. Man hat die führenden ExpertInnen der Landeshauptstadt zur Suche nach gemeinsamen Konzepten für das Regierungsviertels geladen und sollte endlich die Chance ergreifen, diese Expertise auch in die weitere und endgültige Planung einfließen zu lassen. Ein „Planen von oben herab“ ist nicht mehr zeitgemäß und lässt keine emotionale Identifikation mit dem Viertel entstehen. Partizipativ muss ein Konzept entwickelt werden, das auch eine Flexibilität in der zukünftigen Nutzung zulässt. Die Anforderungen an städtische Lebenswelten sind schnelllebig und die Vergangenheit hat gezeigt, dass städtebauliche „Masterpläne“, die einen in weiter Ferne angestrebten baulichen Wunsch- oder gar Idealzustand beschreiben, überholt sind, bevor ihre bauliche Umsetzung abgeschlossen wurde.

Es gilt gemeinschaftlich für das Mainzer Regierungsviertel ein langfristiges Leitbild zu entwickeln, mittelfristige bauliche Optimierungen zu planen und kurzfristige partizipative Interaktionen aus der Stadtgesellschaft zuzulassen und zu fördern. Nur wenn die Stadt ermöglicht, dass sich die Mainzerinnen und Mainzer das Quartier aneignen, kann eine dauerhaft erfolgreiche Quartiersentwicklung gelingen.

3. Forum  

Am 20. September findet das dritte und letzte Forum zum Regierungsviertel statt. Der Deutsche Werkbund RLP wird sich unabhängig von den Ergebnissen weiterhin für die inhaltliche, bauliche und kulturelle Entwicklung des Regierungsviertels und darüber hinaus einsetzen – umsomehr als auch Mainz mit der Vergabe des Titels World Design Capital ’26 an die Metropolregion Frankfurt RheinMain zukünftig mit im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen wird.

 

© Fotos: Eva Riempp

Verfasser
Deutscher Werkbund Rheinland-Pfalz e.V.

Rubrik
Berichte