Reallabor Stadtraum Mainz. Gemeinschaftliche Gestaltung und Nutzung

Reallabor Stadtraum Mainz ist eine Projektidee des Deutschen Werkbunds Rheinland-Pfalz für die Landeshauptstadt Mainz

Was wäre, wenn Mainzer Stadträume …

von Bürger:innen noch intensiver genutzt würden?

Gäste der Stadt anzögen?

das Stadtklima nachhaltig verbesserten?

sich zu aktiven grünen Erlebnisorten und Begegnungsstätten für die Bewohner:innen

entwickelten?

die Bürger:innen selbst aktiv und eigenverantwortlich gestalteten?

sehr bald aufgewertet würden?

 

 

 

 

… werden?

 

© Graphik Niko Gültig 2021

 

Reallabor Stadtraum Mainz. Gemeinschaftliche Gestaltung und Nutzung. Worum geht es?

Die Gestaltung von urbanen Ballungsräumen gehört zu den großen Herausforderungen unserer Gegenwart. Damit sind nicht nur ästhetische Aspekte angesprochen. Vielmehr steht eine nachhaltige Stadtentwicklung auf Basis demokratischer Strukturen im Fokus.
Gerade wenn es um die Gestaltung und Nutzung öffentlicher Flächen geht, sind die vielfältigen Bedürfnisse und Wünsche der unterschiedlichen Interessengruppen in der Stadt zu berücksichtigen, um zukunftsfähige Lösungen zu erhalten. Stadtentwicklung ist seit je her eine ganzheitliche Aufgabe.
Aushandlungsprozessen, die die gesamte Stadtgesellschaft miteinschließen, kommt immer größere Bedeutung zu. Dabei ist die Methode zur Umsetzung demokratischer Prozesse nicht nur entscheidend für die Lösung, sie bestimmt auch die Art und Weise des Umgangs der Akteur:innen, die Atmosphäre in einer Stadtgesellschaft. So agieren beim Reallabor Stadtraum auf Basis des Urban Design Thinking alle Beteiligten auf Augenhöhe.

(Hierzu auch Bijan Kaffenberger, WDC als Chance zur (Aus-)Gestaltung von Partizipation. In: Zukunfts-WerkBUNDstatt. Impuls #01. Der Werkbund auf dem Weg zur WDC 2026. Broschüre zur Tagung in der Werkbundakademie Darmstadt, November 2021 –> Link zur Broschüre

© Sina Hartmann 2021

 

Design Thinking
Die heute vielfältig angewandte Kreativmethode Design Thinking wurde in den 90er Jahren in den USA entwickelt, um Produkte zu kreieren, die die Kundenbedürfnisse effektiv umsetzten. Hierzu arbeitete man in interdisziplinär zusammengesetzten Teams. Für diese spielerische innovative Methode bezog man Anregungen aus dem Dessauer Bauhaus der 20er Jahre, das inhaltlich und personell mit dem Deutschen Werkbund verbunden war. Dort fanden multidisziplinäre Gruppen in ähnlichen Prozessen neuartige Lösungen, um den Bedürfnissen der Menschen effektiv zu entsprechen.
Übertragen auf den Lebensraum Stadt wurde das Urban Design Thinking entwickelt. 
Mit der Urban Design Thinking Methode können die bisherigen Abwägungs- und Aushandlungsprozesse innerhalb der Stadtgemeinschaft intensiviert werden. UDT hat das Potenzial, Stadtentwicklung nicht nur ganzheitlich, sondern auch demokratisch und nachhaltig zu gestalten und umzusetzen. Sie ist ein kollaboratives, ko-kreatives Format der Stadtentwicklung. In Workshops mit unterschiedlichen Interessenvertreter:innen werden Ideen gesammelt, Prototypen entwickelt und modellhaft erprobt. Dadurch erleben die Bürger:innen die Wirksamkeit Ihrer Beteiligung unmittelbar. Sie sind nicht nur in den Findungs-, sondern auch in den Realisierungsprozess aktiv mit eingebunden. Sie reden nicht nur, sondern machen auch mit. Für die Bürger:innen behält das Projekt über die gesamte Dauer seinen kreativen agilen Charakter und gewährt darüber hinaus nicht nur punktuell Beteiligungsmöglichkeiten.

Erprobte Beispiele
Reallabor Stadtraum Mainz ist ein design-orientiertes Modell zur Organisation eines demokratischen Geschehens auf Basis des Urban Design Thinking. Vergleichbare Ansätze finden sich im Baden-Württembergischen Reallabor Stadt. –> Reallabor Stadt BW

Das Mainzer Reallabor Stadtraum schließt gleichzeitig an erprobte Beispiele, etwa Migrants4cities aus Mannheim an. –> Projekt Mannheim

© https://www.migrants4cities.de/de/transfer-weblab-urban-design-thinking-zum-kennenlernen/#

 

Hier arbeiten seit 2017 Akteur:innen aus Gesellschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Kreativszene in einem ergebnisoffenen Prozess an zukunftsfähigen und nachhaltigen Lösungen, erlernen und pflegen einen wertschätzenden Umgang miteinander.
Mittlerweile sind die positiven Effekte der Methode vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Broschüre Zukunftsstadt) im Zusammenhang mit dem Mannheimer Migrant*innen Projekt 2018 vorgestellt worden. –> Link zum Projekt 

Durch Wertschätzung für individuelle Erfahrungen und Kompetenzen konnten die verschiedenen Akteure/Stakeholder für die Zusammenarbeit aktiviert werden, d.h. der Ansatz ist kompetenz- und ressourcenorientiert und nicht problemorientiert.
Die Methode ist geeignet, zeitnah Ergebnisse zu erbringen. Gerade in Zeiten der Politik- und Verwaltungsverdrossenheit ist es umso wichtiger, Bürger: innenbeteiligungsverfahren und Realisierung zeitlich nicht auseinanderklaffen zu lassen, damit Frustrationen kein Raum gegeben wird. In einer sich rasant verändernden Welt spricht außerdem vieles dafür, aktuell zu bleiben, auch was die Ermittlung des Bürger:innenwillens angeht.
Die Methode ist vielfältig einsetzbar. Zahlreiche Aufgabenstellungen können damit bearbeitet werden.

Wo findet das Reallabor statt?

Das Reallabor wird am authentischen öffentlichen Ort in der Stadt errichtet. Es bietet Gelegenheit zur Zusammenarbeit und zum
mit-tun anstelle von mit-reden. Der Prozess und die Lösung sind gleichwertig. Provisorien oder Zwischenlösungen sind willkommen. Das Reallabor arbeitet nicht nur mit Worten, sondern auch mit Visualisierungen und dreidimensionalen Modellen. Alle Menschen sind dadurch mit einbezogen. Lösungen werden innerhalb des Prozesses erprobt und revidiert und dürfen zu Zwischenlösungen werden. Temporäre Nutzungen sind denkbar. Reallabor Stadtraum ist positiv, ressourcenorientiert, kreativ, niederschwellig und experimentell und macht Spaß. Es eignet sich zur Quartiersentwicklung und auch zur Vermehrung von Grün in der Stadt. Es ist eine Einladung, in Möglichkeiten statt in Unmöglichkeiten zu denken und Gemeinschaft zu leben.
Städtische Un-Orte haben dabei großes Potenzial.

Beispiele für Mainzer Un-Orte

Mombacher Hochbrücke

© Beide Fotos / Bearbeitungen Sibylle v. Roesgen 2021

 

Unterhalb und entlang der Mombacher Hochbrücke, einer 1,3 km langen Autobrücke die durch ein Industriegebiet führt, befinden sich überwiegend mit einer Asphaltdecke versiegelte Flächen. Geht man davon aus, dass behördliche Hindernisse aus dem Weg geräumt sind, setzt das Reallabor von Anfang an bei den Bürger:innen an. Angesichts der geringen Anzahl von anliegenden Wohngebieten stellt sich die Frage, wie man die Bürger:innen auf die Potenziale des Orts aufmerksam machen und sie für eine Mitarbeit am Reallabor interessieren kann. Dies gilt auch für die gegenwärtigen Nutzer, in der Regel Unternehmen wie Baustoffhändler, Autohäuser, Waschanlagen aber auch die Bahn.

Zusätzliche Impulse für die aktive kreative Beteiligung können mit künstlerischen Neuinterpretationen von bestehenden Bauteilen gesetzt werden, aber auch mit temporären Events vor Ort, an einem oder mehreren Wochenenden, an denen auch die Unternehmen mit einbezogen sind. Auf diesen Events aufbauend kann dann ein Reallabor mit gegenwärtigen und potenziellen Nutzern „errichtet“ werden.
Von Anfang an werden mit den Anwohnenden und gegenwärtigen Nutzer:innen, innerhalb eines gemeinschaftlichen kreativen Prozesses Visionen entwickelt und Gestaltungen modellhaft umgesetzt. Die Perspektive aller Akteur:innen (Stadtverwaltung, Pädagog:innen, Designer:innen) liegt auf einer Ebene mit den Nutzer:innen und Anwohner:innen, ressourcenorientiert und wertschätzend. Schon damit wird zur aktiven Teilhabe eingeladen. Möglichkeiten und Spielräume werden geschaffen, statt an den Anwohner:innen orientierte Vorschläge der Akteur:innen zur Wahl zu stellen. Intensive Gespräche mit allen Beteiligten im Vorfeld sind bereits integraler Bestandteil des Reallabors.
Zwischennutzungen bis zum Abriss, temporäre Gestaltungen sind erwünscht. Auch andere Werkbundprojekte können hier verortet sein.

 

Ernst Ludwig-Platz

Foto oben: © https://mainzund.de/wp-content/uploads/2019/06/Brunnen-Ernst-Ludwig-Platz-kleiner.jpg

Foto unten: © Forum Regierungsviertel 2008, 60.3 Bauamt / Bildagentur Rath 2008. Markierungen S.v.R.

 

Der Ernst Ludwig-Platz mit Schloss- und Helmut Kohl-Platz bietet viele Ansätze für gemeinschaftliche Gestaltung und Nutzung der Bürger:innen. Hier gilt es, die zahlreichen Nutzer:innen des Ernst Ludwig-Platzes anzusprechen, die vor allem in den Sommermonaten die Grünflächen als Freizeitgelände nutzen, Berufstätige der angrenzenden Behörden und Firmen sowie die Anwohner:innen des Bleichen- und Schlossviertels. Der Schlossplatz, gegenwärtig ein Parkplatz (rechts), hat das Potenzial zur Intensivierung von Grün in der Stadt.

In eine verwandte Richtung weist ein Projekt des Geographischen Instituts der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Hochschule Geisenheim: Freiraumbedarfe Jugendlicher und junger Erwachsener in Mainz (2021/2022), bei dem mit verschiedenen qualitativen Methoden der raumbezogenen Sozialforschung von den Bedarfen der gegenwärtigen Nutzer:innen des Ernst Ludwig-Platzes (und anderer innerstädtischer Freiflächen) ausgegangen wurde. –> Link zum Projekt

Zusammen mit einer Zwischennutzung des ehemaligen Werkstattbaus des Römisch-Germanischen Zentralmuseums bietet der Ernst Ludwig-Platz eine ganz besondere Chance für bürgerschaftliche Nutzung und Gestaltung vor dem Hintergrund von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit.

Weitere Reallabore für Mainz
Andere Orte in Mainz können mit der Methode Reallabor Stadtraum Mainz bearbeitet werden. Ebenso ist eine Kombination mit anderen Projektideen möglich.

Reallabor Stadtraum Mainz versteht sich als Beitrag des Deutschen Werkbunds Rheinland-Pfalz zur Mitbewerbung von Mainz bei World Design Capital FrankfurtRheinMain(z) 2026 Design for Democracy. Atmospheres for a better Life.

Sibylle v. Roesgen dwb
Zweite Vorsitzende Deutscher Werkbund e.V.
Vorstand Deutscher Werkbund RLP

Anmerkung: Die Grafik „Reallabor“ im Bannerbild (s.o.) erstellte Anne Nilges im Workshop „Vom Un-Ort zum Tun-Ort“ anlässlich der Veranstaltung „Zukunfts-WerkBUNDstatt“ im November 2021 in Darmstadt.

Verfasser
Deutscher Werkbund Rheinland-Pfalz e.V.

Rubrik
Berichte