Rudolf Hillebrecht

Ehrenmitgliedschaft für das "Wunder von Hannover"

Anfang Juni 1959 schrieb der „SPIEGEL“ über das ‚Wunder von Hannover‘, und das Titelbild zeigte Rudolf Hillebrecht als dessen Verursacher. Damals war der Stadtbaurat bereits 11 Jahre im Amt und was man seine Wundertat nannte, war die im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten einzigartige Planung und Organisation des modernen Aufbaus seiner zu fast 70% zerstörten Heimatstadt. In Rom gar schrieb die Zeitung „Momento Sera“ von Hannover als der „Stadt des Jahres 2000“, man staune! Besonders seine am Auto ausgerichtete weitsichtige Verkehrsplanung wurde – auch international – bewundert, propagierte er doch „kreuzungsfreie Schnellstraßen, Verkehrskreisel, aufgeständerte Hochstraßen, ja sogar Unterpflasterbahnen“. Daß diese zum größten Teil erfüllten Visionen heute auch zu berechtigter Kritik Anlaß geben, schmälert die Qualität seines mutigen Vorgehens nicht; immerhin gibt es auch Hannoveraner, die der nach 30 Jahren Funktionsdauer abgerissenen Hochstraße am Aegidientorplatz eine Träne nachgeweint haben.

Über seinen Werdegang berichtet er, durchaus mit Ironie begabt, in seiner Antrittsrede zur Aufnahme in den Orden „pour le mérite“: „In Linden 1910 geboren und aufgewachsen, einer Industriestadt, die erst 1920 zu einem Stadtteil Hannovers wurde. Die Jungen dieser Stadt unterschieden sich scharf voneinander nach „Buttschern“ und „Ziffis“, welch letztere Klassifizierung ihr Herkommen aus Civis – (Bürger) ihren Sinn noch erkennen läßt. Daß ich in das Lager der bemützten Schüler überwechseln durfte und das humanistische Kaiserin-Auguste-Viktoria Gymnasium mit der erklärten Absicht, Architekt zu werden, verlassen konnte, habe ich allein den beiden Schuldirektoren zu verdanken, die von 1919 bis 1928 diese Schule leiteten. Ich studierte also in Hannover und später in Berlin bei Tessenow Architektur, bei Jansen Städtebau; hier hatte ich bereits Zugang in das Atelier von Walter Gropius, in dem ich so großartige Schöpfungen wie seinen Wettbewerbsentwurf für Charkow miterlebte.“

Hillebrecht meint hier das Staatstheater der ukrainischen Hauptstadt, das 1930 für die opulente Zahl von 4000 Personen ausgeschrieben war und sicher auch im Wettbewerb enorme organisatorische Fragen aufgeworfen hat.

„Bis 1934, bis Gropius emigrierte, arbeitete ich bei ihm in Berlin. Dann brachten mich Freunde bei der Luftfahrtindustrie unter, und dort erwarb ich mir bei großen Bauten in Travemünde und Hamburg die nötige Bauerfahrung. Das 2. Staatsexamen beendete diese gute Lehre und ließ mich 1937 gleichzeitig aus dem Staatsdienst ausscheiden. Ich wollte Architekt und nicht Baubeamter werden. So trat ich in das Atelier des jungen Gutschow in Hamburg ein, dessen Bürochef ich von 1937 bis 1945 gewesen bin. Dort habe ich neben der Bearbeitung vieler schöner und weniger erfreulicher Aufgaben vor allem etwas gelernt: Städtebau.“.

Städtebau in der Tat hat er dann 25 Jahre lang in Hannover betrieben – eine für heutige Verhältnisse unvorstellbar lange Zeit – und das auch mit der Rückenstärkung des Stadtrates. So konnten langfristig anstehende Projekte überschaubar gemacht und fast ohne Irritationen von außen durchgeführt werden.

Begonnen hat diese neue Stadtentwicklung 1949 mit der von ihm initierten „Aufbaugemeinschaft“ von 125 Bürgern. In über 400 Sitzungen warb er für ein Vorgehen, das sich ganz wesentlich auf eine neue Verkehrskonzeption abstützte, nämlich mit Hilfe eines Tangentensystems den die Stadt künftig zu ersticken drohenden Durchgangsverkehr abzuwehren bzw. feingliedrig ins Zentrum zu leiten. Auch legte er bereits 1951 – auch dies ungewöhnlich rasch – einen Flächennutzungsplan vor. Den „sanften Dirigismus“, den er sich bei seinem Vorgehen später selbst attestierte, haben Zeitgenossen allerdings auch anders in Erinnerung. So betrieb er eine rigorose Abrißpolitik gegenüber eklektizistischen Bauten des 19. Jahrhunderts, auch das Friederikenschlößchen des Hofbaumeisters Laves wurde, wie man damals festhielt, „in einer Nacht- und Nebelaktion“ geschleift. Die Kurzsichtigkeit seines Tuns hat er später dann allerdings eingestanden.

Zwei für die weitere Stadtentwicklung höchst bedeutsame Projekte hat er in seiner Amtszeit auf den Weg gebracht: den Bau der U-Bahn (ab 1965) und damit verbunden (ab 1972) den unterirdischen Bahnhofsdurchstich, die Passerelle. Sie war der Versuch, die abgetrennte Oststadt mit dem Stadtzentrum zu verknüpfen; wenngleich die Passerelle für die Bahnhofstraße in der City belebend wirkte, so ist die verbindende Funktion bis heute unbefriedigend geblieben.

Hillebrecht gehörte zu den visionären Stadtbauräten, vielleicht vergleichbar mit dem Hamburger Fritz Schumacher der 20er Jahre oder Martin Wagner im Vorkriegsberlin. Gebaut allerdings hat er, im Gegensatz zu diesen nichts, beraten nur, etwa beim Bau des Niedersachsenstadions; im Gegenteil, er meinte: …“In seiner Position dürfe er nicht einmal neue Bedürfnisanstalten skizzieren…“

Hillebrecht war ein im In- und Ausland begehrter Gutachter und Preisrichter, er war auch ein „homme des lettres“, sein Veröffentlichungsverzeichnis enthält mehr als 300 Titel. Über die Vergänglichkeit auch seines stadtformenden Tuns hat er sehr wohl gewußt. Dazu schrieb er einmal:
“ Städtebauer sind eine zahlenmäßig schwache Berufssparte. Nur wenigen unter ihnen war vergönnt, die Verwirklichung ihrer Pläne zu erleben; die gegenwärtige Generation macht die Ausnahme, daß sie dies Erlebnis hat, jedoch gleichzeitig erfährt, wie kurzlebig ihre Pläne sind.“

Rudolf Hillebrecht war Werkbundmitglied von 1948 bis zu seinem Tod 1999. Zum Ehrenmitglied wurde er 1984 ernannt.

Verfasser
Deutscher Werkbund Nord e.V.

Rubrik
Berichte