Georg Metzendorf und der Werkbund
Georg Metzendorf (1908)
Georg Metzendorf (* Heppenheim/Bergstraße 25. September 1874 – † 3. August 1934 Essen), Stadtplaner, Architekt und Designer, stammt aus einer traditionseichen Handwerker- und Baumeisterfamilie. Nach seiner Ausbildung zum Maurer studierte er in Karlsruhe und Darmstadt Architektur. Geprägt von der Darmstädter Reformbewegung um 1900 führte er bis 1905 mit seinem acht Jahre älteren Bruder Heinrich ein prosperierendes Architekturbüro in Bensheim/Bergstraße. Mit Gründung des Deutschen Werkbundes als Verein im Jahre 1908 wurde er Mitglied und nahm in den beiden Dekaden vor und nach dem Ersten Weltkrieg an einer umwälzenden Entwicklung teil, die später als „Westdeutscher Impuls“ bezeichnet wurde. Seine Arbeiten für den Werkbund und in der Gartenstadtbewegung dienten einer ganzen Fachgeneration als Maßstab und Vorbild.
In bewusster Ergänzung zu den elitären Künstlerhäusern von Peter Behrens und Joseph Maria Olbrich hatte der „Ernst-Ludwig-Verein“ 1908 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt eine Kleinwohnungskolonie von sechs Musterhäusern samt Innenausstattung errichten lassen. Der Beitrag von G. Metzendorf (Abb. 2) überzeugte wegen seiner verblüffend sparsamen Kostenrechnung und des gebotenen Wohnkomforts. Erstmals im deutschen Siedlungsbau wurde hier die Kombination Zentralheizung, Herd, Warmwasserbereitung, Lüftungsanlage, Spülküche, Wasserklosett und Bad mit Wanne vorgestellt. In der baugeschichtlichen Bewertung wird dieses Darmstädter Ausstellungshaus als Ursprung und Leitbild westdeutscher Siedlungshäuser bis in die 1930er Jahre eingeordnet. Erfolg und Nachfrage waren entsprechend. Noch im Ausstellungsjahr erhielt Metzendorf den Auftrag, für die Gartenstadt „Hellerau“ bei Dresden einen Straßenzug mit seinem Reformhaus zu entwerfen und mit der „Margarethenhöhe“ bei Essen gar eine Stadt für 12.000 Einwohner. (Abb. 3) Beide waren Pilotprojekte der Deutschen Gartenstadtbewegung und zugleich des Deutschen Werkbundes. Beide begannen 1909 mit ihrer Realisierung und wurden wegen ihrer unkonventionellen Umsetzungsmethoden exemplarische Vorreiter einer neuen Siedlungstechnik.
Abb. 2: Kleinwohnungshaus, Darmstadt/Mathildenhöhe, 1908.
Abb 3: Gartenstadt Margarethenhöhe, Gesamtplan 1919.
Auf der Weltausstellung 1910 in Brüssel präsentierte sich Deutschland als jüngste Großmacht und setzte für die Durchführung eine Kommission aus tragenden Kräften des Werkbundes ein. G. Metzendorf war Mitglied des Preisgerichtes, entwarf das Gebäude des „Deutschen Verkehrsbureaus“ und plante zwei „Deutsche Arbeiterwohnhäuser“, die in vorgefertigter Bauweise aus Holz samt Inneneinrichtung innerhalb von vier Tagen bezugsfertig errichtet wurden. Eine Ingenieurleistung, für die er den Professorentitel E.h. erhielt.
Im Auftrage von Karl Ernst Osthaus plante G. Metzendorf 1912/13 im Zentrum der Gartenstadt „Emst“ bei Hagen das „Deutsche Museum“ für Kunst in Handel und Gewerbe, das mit Unterstützung des Werkbundes gleichsam als Stadtkrone errichtet werden sollte. Finanzierungsschwierigkeiten und der I. Weltkrieg verhinderten die Realisierung des ehrgeizigen Projektes.
Bei der epochalen Werkbund-Ausstellung 1914 in Köln planten jeweils die Protagonisten ihres Faches. Georg Metzendorf erhielt 1913 den Gesamtauftrag für das „Neue Niederrheinische Dorf“, die (aller)erste Werkbundsiedlung. Nach dem massiven Protest der Kölner Architektenschaft, kraftvoll unterstützt von Konrad Adenauer, selbst Werkbundmitglied und erster Beigeordneter der Stadt Köln, wurden weitere vor Ort Ansässige beteiligt. Metzendorf blieben der Siedlungsentwurf, die Oberleitung und vier Projekte zur Ausführung. Darunter das „Essener Kleinwohnungshaus“, kompromisslos in Material und Innenausstattung. (Abb. 4) Er selbst schrieb 1920 in seinem Buch „Kleinwohnungsbauten und Siedlungen“ hierzu: „Schönheit, Zweckmäßigkeit und Billigkeit erscheinen mir in dieser Form vollständig vereinigt zu sein.“ Der traditionelle Flügel des Werkbundes um Henry van de Velde sah das offenbar anders. Bei der denkwürdigen Werkbundtagung 1914 wurden Hermann Muthesius und Georg Metzendorf wegen ihrer fortschrittlichen Auffassung von Type, Norm und Form auf Hausschlüsseln ausgepfiffen. Kaum eröffnet, musste die Werkbundausstellung wegen Ausbruch des I. Weltkrieges geschlossen werden, um das Gelände am Rhein für militärische Zwecke zu nutzen. Dadurch konnte sie sich ihrer Bedeutung entsprechend nicht unmittelbar auswirken.
Abb. 4: Werkbund-Ausstellung in Köln, Essener Haus, 1914.
Die Werkbundsiedlung „Im Forstbachtal“, Mühlheim/Ruhr, mit einem Doppelwohnhaus von G. Metzendorf im reinsten Bauhausstil kam 1929 wegen der aufkommenden Weltwirtschaftskrise nicht über die Planung und den Kanalbau hinaus.
Vor allem aufgrund seiner wegweisenden Reformplanungen für einen sozialhumanen Städtebau im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ist Georg Metzendorf in die Baugeschichte eingegangen. 1931 verlieh ihm die Technische Hochschule in Aachen den Titel eines Dr.-Ing. E.h., „in Würdigung der besonderen Leistungen auf einem der wichtigsten Baugebiete der Baukunst, in dem er als erster in vorbildlicher Weise Arbeiterwohnungen und Arbeitersiedlungen gestaltet hat“.
Abb. 5: Verkaufshaus „Eick & Söhne“, Essen, 1911-15.
Abb. 6: Innenraum Kaiser-Friedrich-Museum, Magdeburg, 1912-13.
Das Lebenswerk von Georg Metzendorf auf den Siedlungsbau zu reduzieren, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Das Hotel „Zur Krone“ in Bensheim (1906-08), das „Eickhaus“ in Essen (1911-15) (Abb. 5), ein Demonstrationsraum für das Kaiser-Friedrich-Museum in Magdeburg (1912-13) (Abb. 6), die Kirche in Bischofswiesen/Berchtesgaden (1924-26), das Kloster der Vinzentinerinnen in Heppenheim (1925-27), die Lungenheilstätte „Haardheim“ in Marl (1926-28) (Abb. 7), die Ruhbrücke „Blankenstein“ (1926-28), das Pfarrzentrum in Welper (1927-29), der Komplex Stadtsparkasse mit Haus der Technik in Essen (1927-30) (Abb. 8) und die Lupusheilstätte „Hornheide“ in Münster (1930-32) belegen, dass er auch andere Disziplinen des Bauens beherrschte (Abb. 9 + 10).
Abb. 7: Lungenheilstätte Haardheim, Marl, 1926-28.
Abb. 8: Stadtsparkasse und Haus der Technik, Essen, 1927-1930.
Abb. 9: Künstlerkattun, 1920.
Abb. 10: Türgriff, 1921.
25 Jahre nahm Georg Metzendorf als aktives Mitglied des Deutschen Werkbundes an dem faszinierenden Zeitabschnitt der Baugeschichte teil, der vom Jugendstil über den Neoklassizismus zur klassischen Moderne des Bauhauses führte. In seinem Todesjahr leiteten die Nationalsozialisten gegen ihn ein Verfahren wegen „Kulturbolschewismus“ ein.
Dr.-Ing. Rainer Metzendorf, Enkel und Biograf
Hinweis:
Zum 150. Geburtstag des am Anfang dieses Beitrags erwähnten älteren Bruders von Georg Metzendorf, Heinrich Metzendorf, ist ebenfalls ein Beitrag von Rainer Metzendorf erschienen, den Sie hier finden und nachlesen können.
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